Der große Tänzer.

Nach eigener Einschätzung glitt ich geschmeidig über das Parkett und führte meine mir angetraute Tanzpartnerin souverän durch die Menge. Die anderen Turniertänzer empfanden das wahrscheinlich genauso, aber nicht von mir, sondern von sich selbst. Alters- und statusunabhängig war vor allem der männlichen Spezies mittleren Alters der Spaßfaktor gleichermaßen anzumerken. Von gepressten Lippen, gefletschten Zähnen bis hin zur Schnappatmung, die Palette war erstaunlich breit. Die überaus fremdsprachengewandte Live-Band trug im Rahmen ihrer Möglichkeiten zum Gelingen der physischen Meisterleistungen bei. Wenn alle eifrig üben, hat die Formation den Zenit ihres künstlerischen Schaffens sicher noch vor sich, da geht noch was. Zwischendurch wurde es auch wirklich heiß, ich hatte allerdings durch präventiv übermäßigen Einsatz von Bio-Deo anstandshalber vorgesorgt. Bei den Rolling Stones und Credence Clearwater Revival war die Begeisterung des Heeres an Tanzakrobaten noch mäßig, bei Helene Fischer und Drafi Deutscher gab’s allerdings kein Halten mehr, der Ballsaal kochte. Und ich pausierte.

Schön war sie, und kurz war sie, die Ballsaison. Inklusive An- und Abreise, Tratschen, Essen, Trinken und jeder Menge Leerlauf hatte sie eine Lebensdauer von knapp fünf Stunden. Geschätzte sieben Tänze waren es, doch im Grunde nur einer, denn die Schrittfolge war immer die gleiche. Genau die eine, die schon genetisch verankert ist. Nämlich jene, die zum Ködern eines liebreizenden Weibchens für das heranreifende Männchen unabdingbar und daher im Erbgut fest eingebettet ist.

Heute früh fühlten sich meine Füße allerdings an, als wenn sie hunderte von Tänzen zu bestreiten hatten. Bin wohl schon aus der Übung, denn am Alter kann’s nicht liegen, war ich doch beim gestrigen Event, wie man so sagt, stimmungsmäßig der Jugend durchaus ebenbürtig. Das hat sich aber offensichtlich nicht bis zum Körper durchgesprochen. Zum Trost meldeten sich auch bei meinem liebreizenden Weibchen die Problemzonen, besonders aufdringlich die rechte Hüfte und die rechte Pobacke.

Frau Haushaltsvorstand lahmte beim Mittagsspaziergang leicht, was allerdings nur Insider bemerken konnten. Ich gehöre zum Inner Circle, daher war’s unübersehbar, doch sagen darf man, vor allem Mann, es nicht. Nie und nimmer, da steht die Todesstrafe drauf. Und ich liebe das Leben. Und das Tanzen. Und ruhige Sonntage. Doch besonders liebe ich meine leidgeprüfte Tanzpartnerin. Deshalb schweigt der Mann von Welt. Ich meine diesmal ausnahmsweise mich. Möge die neue Ballsaison bitte noch etwas zuwarten.