Siegertypen.

Kein Mensch, keine und keiner gehört zu irgendeinem Inventar, auch Valentin nicht. Sklaverei und Leibeigenschaft wurden längst abgeschafft, kein Mensch gehört einem anderen. Doch Valentin gehört zur Stadt, zu uns und zu Österreich. Er ist gebürtiger Bulgare, sitzt vorzugsweise bei Schönwetter mit seinem Akkordeon in der Fußgängerzone und lässt ganz Paris von der Liebe träumen, Udo den griechischen Wein bejubeln oder einen Soldaten nächtens am Wolgastrand tränenreich an sein Vaterland denken. Zweifelsohne, sein Repertoire ist weltumspannend und zudem überaus sentimental. Valentin lächelt stets freundlich und nickt mir, weil er ja keine Hand zum Winken frei hat, höflich zu, als ich die 2€-Münze treffsicher in den antik anmutenden Instrumentenkoffer am Boden bugsiere. 

 

Hamet ist Bosnier, trägt seine verbliebene Haartracht ultrakurz und lächelt meist, seine Zahnlücken sind ihm dabei völlig egal. Vor fast 30 Jahren wurde er aus seiner Heimat vertrieben, sein Deutsch ist immer noch sympathisch fehlerhaft. Dafür sind seine Fähigkeiten als Elektriker einzigartig, er hilft gerne bei Installationsarbeiten, kommt zuverlässig nach der dritten Terminverschiebung mit rührenden Entschuldigungen, die er meist theatralisch gestikulierend vorträgt. Dann trinkt er zunächst Kaffee und macht schließlich doch, was zu machen ist. Und dann lächelt er wieder zufrieden um seine frontalen Zahnlücken herum. 

 

Siegi wohnt nur 100 m entfernt von mir, vertreibt eigenartig aussehende, allerdings in Insider-Kreisen hochgelobte Holzpantoffel und ist mit Linda verheiratet. Linda ist eine quirlige Chinesin, lebt schon Jahrzehnte hier und spricht ausgezeichnet Deutsch. Dass sie zu ihrem Liebsten Siega statt Siegi sagt, ist vermutlich Absicht und ein raffinierter psychologischer Trick, damit Siegi sich wie einer am obersten Treppchen fühlt. Dafür bekocht er sie leidenschaftlich gerne, vielleicht kocht er sie, ebenfalls einem raffiniertem Plan folgend, auch nur ein. Wie auch immer, sie sind ein starkes Team und lachen gerne. 


Josef ist Ungar, ein braungebrannter, jung-gebliebener Mitt-Vierziger und ein handwerkliches Allround-Genie. Er sieht in keiner Aufgabe und in keinem Auftrag ein Problem. Er präsentiert ein stolzes Bäuchlein und ein ebenso stolzes Lächeln. Wenn Josef mit dem Glockenschlag zur Besichtigung einer Baustelle erscheint, strahlt sein Gesicht mindestens so wie sein alter schwarzer Mercedes, den er sich mit Ausbesserungsarbeiten an vielen alten Häusern redlich erspart hat. Ich vermute, er hat keine Wohnung und schläft im Auto. 

 

Ali ist ein junger Afghane, ihn ziert unter der Nase ein schwarzer Bienenschwarm, aus dem strahlend weiße Zähne blitzen. Er ist voller Hoffnung für seine Zukunft, trägt schon um 5 Uhr morgens Zeitungen aus und scheint diese sogar vorher zu lesen, so perfekt ist sein Deutsch. Er ist stolz drauf, bei der Feuerwehr zu sein und leistet als ausgebildeter Rettungssanitäter auch freiwillig Dienst am Nächsten. Sein Lächeln verliert Ali zumeist nur dann, wenn er von den Zuständen in seiner Heimat erzählt. 

 

Hakim ist ein drahtiger, bärtiger Mitt-Zwanziger und mit seiner Frau zu Beginn des Bürgerkriegs aus Syrien geflüchtet. Seit kurzem ist er außerdem mein Lieblings-Friseur. Zurzeit sieht man nur seine Augen lächeln, denn ist er ist bei Ausübung seiner Kunst zum Tragen einer Maske verurteilt. Er ist ein absoluter Meister seines Faches und macht im Handumdrehen einen gutaussehenden Prinzen aus mir. Er lächelt zufrieden, wenn er das Ergebnis seiner Arbeit betrachtet. Hakim fühlt sich wohl und vor allem sicher in Österreich. Mittlerweile hat er zwei Töchter, erzählt er voller Stolz, sie hätten sich gut integriert und gingen gerne zur Schule. 

 

Ich liebe die Vielfalt im Leben, und das nicht nur beim Essen und Trinken und bei der Musik. Ich mag diese Menschen, sie sind die wahren Lichtgestalten in der trüben Masse wohlstandsinfizierter Jammerer. Ich bewundere ihren Mut, ihr Optimismus ist schier grenzenlos und ihr Lächeln ansteckend. Ja, sie bringen Licht nicht nur in ihren eigenen, sondern unser aller Alltag. Und genau dafür mag ich sie, diese Siegertypen.